Eigentlich müsste der Mann auf glühenden Kohlen sitzen, denn es könnte ja gleich losgehen. Tagsüber, nachts, jederzeit. Und egal, wo David Tisold sich gerade aufhält, oder was er gerade macht. Ob er im Büro Rechnungen prüft oder Übungen vorbereitet, ob er mit seiner Freundin ins Kino fährt oder zuhause im Bett liegt und schläft: Wenn der Pieper geht und er nicht gerade im Urlaub ist, muss Tisold direkt auf Einsatz umschalten. Er muss hellwach sein, denn er wird seine Kollegen dirigieren, Entscheidungen fällen, den Einsatz leiten, bei dem es vielleicht um Leben und Tod geht.
Tisold ist ehrenamtlicher Stadtbrandinspektor, von den 120 Einsatzkräften im Stadtgebiet gewählt, sowie hauptamtlicher Mitarbeiter der Stadt und macht alles andere als einen aufgeregten Eindruck. Er wirkt nicht, als stünde er unter Strom. Lehnt sich entspannt zurück, wenn er von seinen 25 Jahren bei der Feuerwehr erzählen soll.
Für das Pensum wird Tisold von Staatsminister Axel Wintermeyer am Samstag beim Kameradschaftsabend in den Eddersheimer Bürgerstuben das Silberne Brandschutzehrenzeichen überreicht bekommen. Eine Ehrung für ein Vierteljahrhundert als Feuerwehrmann, das wie im Bilderbuch verlaufen sind. Denn David Tisold, heute 37 Jahre alt, ist der Junge, der auf der ersten Seite mit großen Augen einem Feuerwehrauto hinterherschaut.
Gegenüber vom Gerätehaus in Okriftel ist er aufgewachsen, da war es naheliegend, dass der Bub Feuer fängt. Mit 12 trat er in die Jugendwehr ein, früher war das damals noch nicht möglich. Nach dem Umzug nach Eddersheim wurde er dort mit 19 Jugendwart, mit 26 stellvertretender Wehrführer, mit 27 Wehrführer, mit 28 Stadtbrandinspektor. Und als er vor zwei Jahren die Stellenausschreibung der Stadtverwaltung las, gab Tisold seinen Job als Vertriebler für Textilfarbstoffe auf und machte sein Hobby zum Beruf.
Schon 350 Einsätze
„Ich strebe danach, etwas voranzutreiben und etwas zu bewegen“, sagt Tisold. Jetzt kann er das als Berater der Stadt, Koordinator von Neuanschaffungen, von Personalplänen, von Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen und natürlich von den Einsätzen. Davon, sagt Tisold, gebe es immer mehr. Rekordverdächtige 350 Einsätze sind es schon in diesem Jahr.
Die Entwicklung hängt nach Erkenntnis des Stadtbrandinspektors nicht etwa mit einer Zunahme von Brandstiftungen zusammen, sondern daran, dass Leute immer häufiger die Feuerwehr zu Rate ziehen, wenn sie selbst nicht mehr weiter wissen. Wenn aus dem neuen Kamin der Rauch ins Wohnzimmer zieht. Wenn aus der Spielmaschine Wasser in die Küche läuft. Von den Fehlalarmen und den Aufzugsbefreiungen abgesehen, die die Feuerwehr mittlerweile auch vornimmt (für die Hattersheimer Wohnungsbaugesellschaft).
Wasser aufwischen
Tisold übt seine Arbeit zu professionell auf, um sich darüber zu beschweren. Zu sagen, dass die Leute selbst das Zimmer lüften oder das Wasser aufwischen könnten. Aber vielleicht führten die Einsätze in Summe bei ihm zu einer gewissen Abgestumpftheit. „Es kommt die Meldung“, sagt er, „du bist nicht völlig überrascht und machst dich auf den Weg“. Selbst wenn die Durchsage der Einsatzleitstelle in Hofheim „Brandmeldeanlage“ als Stichwort vorgibt, könne nach dem 50. Fehlalarm bei der 51. Alarmierung ein Feuer der Grund sein.
Dass er die Beine in die Hand nehmen muss, weiß der Eddersheimer, wenn die Durchsage „Löschzugalarm“ oder „Hilfeleistungszug“ ertönen. Erstens brennt es, zweitens hat sich in den meisten Fällen ein Verkehrsunfall ereignet. Nicht selten ist das eine besondere Herausforderung für einen Feuerwehrmann. Gerade, wenn ein Unfall auf Schienen vorgefallen ist. „Was man da sieht, muss man nicht sehen“, sagt Tisold, und das gibt er auch an die Kollegen weiter. Sie können selbst entscheiden, ob sie mit schrecklichen Ereignissen konfrontiert werden wollen, bei denen Menschen zu Schaden gekommen, womöglich gestorben sind.
Problematisch, das weiß Tisold, werde es dann für einen Helfer, wenn er das Gesicht eines Verkehrsunfallopfers gesehen habe. „Das prägt sich ein.“ Tisold sei diese Bilder bisher immer wieder losgeworden, mancher seiner Kollegen trägt sie länger mit sich herum. Auch das Einschlafen sei bei einem späten Einsatz kein Problem, sagt der Stadtbrandinspektor. Es sei denn, er ereigne sich nach 3 Uhr. Dann spuke, wieder daheim angekommen, der Dienstbeginn schon im Kopf herum.
Prompte Reaktion
Es bleibt die Frage, die sich jeder Nicht-Feuerwehrmann stellt. Die Frage nach dem „Warum?“. David Tisold verdient damit sein täglich Brot, sicher, aber er hätte auch im Vertrieb weiterarbeiten können. „Jeder Feuerwehrmann muss eine Portion Idealismus mitbringen“, glaubt Tisold. Flexibilität sei enorm wichtig, denn eigene Interessen müssten adhoc außer Acht gelassen werden, wenn die Alarmierung erfolgt ist. Also: Warum? Man suche die Herausforderung, aber auch die geregelten Abläufe, die Geselligkeit mit den Kameraden, sagt David Tisold. Und dann: „Man hat es eben von der Pieke auf gelernt, da ist ein Einsatz selbstverständlich.“ Bei ihm reichte es schon, den roten Autos hinterherzuschauen, damals, mit 12 Jahren, um Feuer zu fangen.
Quelle: http://www.kreisblatt.de/lokales/main-taunus/Faszination-Feuerwehr;art676,693215