Viel Kunstblut am Main
Quelle: Frankfurter Rundschau - Aug 22, 2011 |
Steve bekommt kaum noch Luft. Sein Kopf liegt auf dem Bauch seiner Frau, der Braut. Ihr Schoß ist blutverschmiert, das weiße Hochzeitskleid auch. In ihren Armen hält sie ihr Baby – sie hatte eine Fehlgeburt. „Ihr Baby atmet noch“, sagt ein Rettungsmann. Und zu Steve: „Setzen Sie sich jetzt erst einmal ganz locker hin, gleich bekommen Sie noch Sauerstoff von mir.“ Um die beiden herum eilen weitere Rettungskräfte, zu einem Mann, der einen Herzinfarkt erlitten hat, zu einer Frau, die bewusstlos am Boden liegt, zu einem Mann, durch dessen Oberschenkel sich eine Eisenstange gebohrt hat. „Da liegt er, da liegt er, mein Freund“, schreit eine Unverletzte, die hektisch hin- und herrennt. Auf der „Wikinger 1“, die auf dem Main an der Eddersheimer Schleuse liegt, wird die Katastrophe nachgespielt. „Riverboat 2011“ nennt Thomas Spengler, Leiter des Katastrophenschutzes im Main-Taunus-Kreis, die Großübung. Die Vorbereitungen haben bereits im November 2010 begonnen. Simuliert wird eine Havarie auf dem Main: Das Ausflugsschiff „Wikinger 1“, auf dem eine Hochzeitsgesellschaft gefeiert hat, ist mit einem Lastkahn kollidiert, der nun brennt. Gegen 14.40 Uhr an diesem Samstag ist der Alarm ausgelöst worden. Etwa 400 Helfer, unter anderen von den Freiwilligen Feuerwehren, vom Deutschen Roten Kreuz, von den Maltesern, vom Wasserrettungszug des Kreises und von der Rettungstauchergruppe, wissen nur, dass es eine Großübung geben wird. Welches Bild sich ihnen vor Ort bieten würde, das wissen sie nicht. Der Erste leitet die AktionDie Feuerwehr aus Eddersheim ist als erste am Mainufer eingetroffen. Weniger als zehn Minuten hat es gedauert – damit liegt sie innerhalb der gesetzlichen Vorschrift. Der Zugführer steigt aus: „Weiß hier jemand, was passiert ist?“ Thomas Spengler mimt einen Spaziergänger und gibt ihm ein paar Hinweise. Über Funk fordert der Feuerwehrmann Verstärkung. Auch ein Löschboot der Berufsfeuerwehr in Frankfurt macht sich auf den Weg – es wird den Brand später löschen. Der Eddersheimer wird den mehrstündigen Einsatz von jetzt an leiten. So ist die Regel: Derjenige, der zuerst an der Unglücksstelle ist und die dafür notwendige Ausbildung hat, führt die Rettungsaktion. Wenige Minuten später beginnen die Freiwilligen der Feuerwehr Hattersheim, ein Schlauchboot aufzupumpen. Sie schleppen Kanister mit Löschschaum, Schläuche und eine Wasserpumpe ans Ufer. Spontan wird ein privates Motorboot gekapert, das ein paar der Feuerwehrleute zur „Wikinger 1“ bringt. Dort sind inzwischen auch die Notärzte eingetroffen. Sie zählen die Verletzten. „Als erstes müssen wir die Schreihälse wegschaffen“, sagt der Leitende Notarzt. Von denen gibt es einige: Sie brüllen, und rennen herum. Die 35 Schauspieler eines Rettungsnotdienstes in Thüringen machen ihren Job gut. Laut Spengler zählen sie zu den besten in Deutschland. Es ist 15.50 Uhr: Am Eddersheimer Ufer stehen Dutzende Notarztwagen. Ein Behandlungszelt wird aufgebaut, Leichtverletzte werden im Schatten der Bäume versorgt. Da geht ein Ruf an den Einsatzleiter: Auf dem Ausflugsschiff muss eine Notamputation durchgeführt werden. „Das hier ist schon sehr realistisch“, sagt Jürgen Meister, Notarzt aus Bad Soden. Besonders das Durcheinander zu Beginn, sagt er, der schon mal ein ähnliches Szenario am Mönchhofdreieck erlebt hat: zwölf Schwerverletzte, vier Tote. „Wir wollten die Leute unter Stress setzen“, sagt Spengler, der sich am Ende mit dem Verlauf der Übung zufrieden zeigt. „Es wurde zum Teil improvisiert, aber fachgerecht gehandelt“, sagt er. So habe ein Verletzter nicht aufstehen wollen und sei darum mit Stuhl auf ein Rettungsboot verladen worden. Durch eine Baustelle in Hattersheim seien einige Rettungskräfte später als geplant angekommen. Nächste Woche werde die Übung ausgewertet. Er weiß: „Es läuft nie alles richtig, es gibt immer was zu machen.“ |